Diesen Ausführungen des katholischen Bischofs Gerhard Ludwig Müller ist nur zuzustimmen, soweit sie den Unterschied zwischen evangelisch und "protestantisch" betreffen. Traurig stimmt, dass man dergleichen so gut wie nie von evangelischen Verantwortungsträgern zu hören bekommt. Es ist ja keine theologisch neue Einsicht, dass die plumpe Identifikation dessen, was die Reformatoren unter der Freiheit eines Christenmenschen verstanden haben, mit dem neuzeitlichen Freiheitsverständnis schlicht Irrtum oder Etikettenschwindel ist. Dementsprechend besteht für Evangelische keinerlei Anlass, vordergründig Zustimmung zu erbuhlen durch Einstimmen in allzu flache Katholizismus-Kritik - und das scheint mir der Markenkern (um es neudeutsch zu sagen) derjenigen zu sein, die sich so viel auf ihr "protestantisches" Profil zugute halten. Wer nur protestiert, braucht immer etwas, wovon er sich absetzt und wogegen er aufbegehrt.
In einem Punkt möchte ich Müllers Ausführungen aber präzisieren. Müller hat recht, wenn er darauf verweist, dass auch wir Evangelische Gebundene sind und uns nicht zu Herren der Schrift und des Glaubens im Namen einer abstrakten Freiheit aufschwingen dürfen. Aber: Die reformatorischen "sola" haben ihren Grund und ihre Wurzel im "solus Christus" - es geht darum, wie die Kirche und mein Glaube verfasst sein müssen, damit Christus wirklich unser "Herr und Heiland" sein und als solcher bei uns und für uns wirksam werden kann. Auch das sogenannte Schriftprinzip bedeutet ja nicht, einer enthistorisierenden Buchstäblichkeit der biblischen Autorität das Wort zu reden (der "papiererne Papst" wäre in der Tat schlimmer als einer aus Fleisch und Blut ...), sondern der Schrift ihren fundamentalen Charakter auch im Gegenüber zur Tradition und ihren Sachwaltern zu wahren, die ihrerseits sich auf die Schrift nur als die ihr vorgegebene und übergeordnete Autorität beziehen können, wenn sie nicht der Hybris verfallen wollen. Und die Schrift selbst ist wiederum Christus unter- und nicht gleichgeordnet - weswegen sie nur und insofern Autorität beanspruchen kann, als sie "Christum treibet", wie Luther sagt. Doch auch dies ist nicht gewissermaßen in Prozentanteilen ein für allemal konstatierbar, sondern erschließt sich nur dem demütig-glaubenden Hören und Fragen, das bereit ist, Christi Wort als autoritatives wie als befreiendes Wort zu hören (und auch als Korrigens eigener Vorverständnisse und ideologischen Bindungen wirksam werden zu lassen).
Deswegen ist allein "evangelisch" die Bezeichnung, die den Kern trifft (wenn man denn überhaupt auf eine solche erpicht ist). Wir protestieren nicht in erster Linie gegen irgendetwas oder irgendwen, sondern wir bleiben Jesu Christi gutem Wort, kurz: seinem Evangelium in und hinter den menschlichen Wörtern auf der Spur. So wie es die Barmer theologische Erklärung klassisch-kurz sagt:
"Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das
eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu
vertrauen und zu gehorchen haben."
FRATER SEJUNCTUS
Süß ists zu irren in heiliger Wildnis ...
Montag, 3. September 2012
Donnerstag, 23. August 2012
Philhellenen-Bashing?
Meint er das als ausgewiesener Germanist und Literaturgeschichtler im Ernst?
Micht erinnert das eher an die Hervorbringungen der typischen Absolventen unserer heutigen "Bildungsgänge". Wenn sich der geistige Horizont eines Menschen des ausgehenden 18. Jahrhunderts nach der Zahl seiner Auslandsreisen bemisst, wie Krause zu meinen scheint, dann können wir Kant oder Hegel und diverse andere wohl auch vergessen. Aber mehr als diese Pauschaltouristen-Perspektive, die Länder abhakt wie Stationen beim Zirkeltraining und sich danach schon für welterfahren hält, lehrt einen offenbar heute weder Gymnasium noch Universität. Und dass die Griechenlandbegeisterung nicht nur bei Hölderlin Chiffre für eine Welthaltung war, die zu rekonstruieren und deren Verlust zu betrauern war, weil nur so die heraufziehende Moderne zu deuten war, mag wohl vor allem jemandem schwer einleuchten, dem zur Weltdeutung der tägliche Konsum von Mainstream-Medien reicht.
Dass man vor amtlich verordneter Euro-Gläubigkeit die Contenance bisweilen verlieren kann, leuchtet ein. Aber darum muss man doch nicht gleich die Ressentiments heutiger Bildungs-Barbarei als Verbündete beschwören.
Sonntag, 19. August 2012
Weswegen weden wir nicht katholisch?
... diese Frage hatte des ehemalige evangelische Pfarrer Andreas Theurer in einem gleichnamigen Büchlein gestellt und für sich mit der praktischen Konsequenz der Konversion zum römischen Katholizismus beantwortet. Sicher ließe sich zu den theologischen Darlegungen Theurers und den ökumenischen Kontroverspunkten viel sagen - mindestens genauso viel wie zum beklagenswert desolaten spirituellen, bekenntnismäßigen und anderweitigen Zustand, in dem sich die evangelische Kirche derzeit befindet.
Das möchte ich jetzt nicht tun. Jenseits aller theologischen Debatten und Klagen über das Vorfindliche gibt es ja meist etwas, wo das Herz schlägt und woran das Herz hängt, etwas, das - wenn es Substanz und Bestand hat - mit so etwas der Erfahrung Gottes zu tun hat.
Ich möchte eine solche Erfahrung zu Wort kommen lassen, in der sich für mich das Entscheidende verbirgt - etwas, das so entscheidend ist, dass nichts, aber auch gar nichts: keine Hierarchien und kein Lehramt, keine Amtsträger, Heiligen, kirchlichen Traditionen (so wichtig all dies in anderer Hinsicht auch sein mag) diese Erfahrung verdunkeln darf. Wegen dieser Erfahrung bin ich evangelisch.
Es ist das De profundis clamavi des 130. Psalms, in Luthers herzergreifenden deutschen Worten (zugleich das Wochenlied für den heutigen 11. Sonntag nach Trinitatis):
Aus tiefer Not schrei ich zu dir, Herr Gott, erhör mein Rufen.
Dein gnädig Ohr neig her zu mir und meiner Bitt es öffne;
denn so du willst das sehen an, was Sünd und Unrecht ist getan,
wer kann, Herr, vor dir bleiben?
Bei dir gilt nichts denn Gnad und Gunst, die Sünde zu vergeben;
es ist doch unser Tun umsonst auch in dem besten Leben.
Vor dir niemand sich rühmen kann; des muss dich fürchten jedermann
und deiner Gnade leben.
Darum auf Gott will hoffen ich, auf mein Verdienst nicht bauen.
Auf ihn mein Herz soll lassen sich und seiner Güte trauen,
die mir zusagt sein wertes Wort. Das ist mein Trost und treuer Hort;
des will ich allzeit harren.
Und ob es währt bis in die Nacht und wieder an den Morgen,
doch soll mein Herz an Gottes Macht verzweifeln nicht noch sorgen.
So tu Israel rechter Art, der aus dem Geist geboren ward,
und seines Gottes harre.
O bei uns ist der Sünden viel, bei Gott ist viel mehr Gnade.
Sein Hand zu helfen hat kein Ziel, wie groß auch sei der Schade.
Er ist allein der gute Hirt, der Israel erlösen wird
aus seinen Sünden allen.
Das möchte ich jetzt nicht tun. Jenseits aller theologischen Debatten und Klagen über das Vorfindliche gibt es ja meist etwas, wo das Herz schlägt und woran das Herz hängt, etwas, das - wenn es Substanz und Bestand hat - mit so etwas der Erfahrung Gottes zu tun hat.
Es ist das De profundis clamavi des 130. Psalms, in Luthers herzergreifenden deutschen Worten (zugleich das Wochenlied für den heutigen 11. Sonntag nach Trinitatis):
Aus tiefer Not schrei ich zu dir, Herr Gott, erhör mein Rufen.
Dein gnädig Ohr neig her zu mir und meiner Bitt es öffne;
denn so du willst das sehen an, was Sünd und Unrecht ist getan,
wer kann, Herr, vor dir bleiben?
Bei dir gilt nichts denn Gnad und Gunst, die Sünde zu vergeben;
es ist doch unser Tun umsonst auch in dem besten Leben.
Vor dir niemand sich rühmen kann; des muss dich fürchten jedermann
und deiner Gnade leben.
Darum auf Gott will hoffen ich, auf mein Verdienst nicht bauen.
Auf ihn mein Herz soll lassen sich und seiner Güte trauen,
die mir zusagt sein wertes Wort. Das ist mein Trost und treuer Hort;
des will ich allzeit harren.
Und ob es währt bis in die Nacht und wieder an den Morgen,
doch soll mein Herz an Gottes Macht verzweifeln nicht noch sorgen.
So tu Israel rechter Art, der aus dem Geist geboren ward,
und seines Gottes harre.
O bei uns ist der Sünden viel, bei Gott ist viel mehr Gnade.
Sein Hand zu helfen hat kein Ziel, wie groß auch sei der Schade.
Er ist allein der gute Hirt, der Israel erlösen wird
aus seinen Sünden allen.
Samstag, 18. August 2012
Herzlich willkommen?
Die diesjährige Interkulturelle Woche im September soll unter dem Motto stehen: "Herzlich willkommen - wer immer Du bist", und sie selbst will sich als ein "lebendiges Zeichen auf einem guten Weg zu einer echten Willkommenskultur" verstanden wissen. Liest man die entsprechenden Ankündigungen der Kirchen, stellt man eine eigenartige Logik fest: Vom Verlangen nach Offenheit und Akzeptanz für einzelne Menschen unterschiedlicher Herkunft im alltäglichen Miteinander in Deutschland wird flugs fortgeschritten zu politischen Forderungen nach umfassenden humanitären Bleiberechtsregelungen und nach einem offenbar durchlässigeren Grenzregime als jetzt. Während erstere Anforderung für Christen selbstverständlich sein dürfte, kommen einem bei der zweiten doch leichte Zweifel - und noch mehr, wenn beide umstandslos verquickt und vermischt werden, als seien sie nur die Kehrseiten derselben Sache. Meine Frage dazu:
Grundsätzliche Offenheit für alle Menschen und im Besonderen für die Entrechteten und Armen ist gewiss ein herausragendes Merkmal der Kirche: Sie lädt ein ohne Ansehen der Person oder Herkunft. Aber kann sich ein politisches Gemeinwesen dieses Merkmal umstandslos zu eigen machen? Nehmen wir die klassische Definition des Staates aus Ciceros De re publica 1,39:
„Est igitur res publica res populi, populus autem non omnis hominum coetus quoquo modo congregatus, sed coetus multitudinis iuris consensu et utilitatis communione sociatus“
„Der Staat ist also die Sache des Volkes; das Volk aber ist nicht jede Vereinigung von Menschen, welche auf irgendeine Weise geschlossen wurde, sondern es ist diejenige Vereinigung einer Menschenmenge, welche basierend auf ihrer Übereinstimmung in den Rechtsvorstellungen und auf ihrer Gemeinsamkeit des Vereinigungsnutzens zusammengeschlossen wurde.“ (Übersetzung aus dem Wikipedia-Artikel zum Werk)
Zwei wichtige Eigenschaften eines "Staatsvolkes" werden hier genannt: die Übereinstimmung in den Rechtsvorstellungen und der gemeinsame Nutzen, der dem Staatsvolk aus seiner jeweiligen Verfasstheit erwächst. Und es ist klar, dass es zu den ursprünglichsten politischen Funktionen gehört, zu entscheiden, wer zum Staatsvolk gehört oder inkorporiert werden kann und wer nicht und dass dabei der Aspekt des Nutzens für die Gemeinschaft im Vordergrund steht wie auch die Akzeptanz der Rechtsordnung durch den Hinzukommenden. So selbstverständlich ist das, dass es kaum der Diskussion wert ist - jedes Gemeinwesen, das diese konstitutiven Bedingungen missachtet, willigt damit potentiell in seine Selbstauflösung und -aufgabe ein. Aber solche Forderungen wie die die Interkulturellen Woche laufen darauf hinaus, genau diese selbstverständlichen Zusammenhänge zu unterminieren und das politische Gemeinwesen sonderbar zu verkirchlichen, indem insinuiert wird, was für die Kirche zu gelten habe, müsse vom Staat auch verlangt werden können. Gegen eine solche Verquickung von Staat und Kirche und ihrer Aufgaben hatte sich die Barmer Theologische Erklärung gewandt, die sich gerade die evangelischen Mitakteure der Interkulturellen Woche sonst so groß auf ihre Fahnen schreiben.
Eine "Willkommenskultur", die weder Bedingungen für die formuliert, die willkommen geheißen werden sollen wie z.B. die Akzeptanz unserer Rechtsordnung, noch fragt, wie sich eine offenbar potentiell grenzenlose humanitäre Öffnung zum allgemeinen Nutzen verhält und z.B. die Kosten solcher Massenmigration ehrlich benennt, ist einfach nur destruktiver Wahnsinn. Es gibt kein Menschenrecht auf umfassendes Willkommen ohne Vorleistung in einem beliebigen politischen Gemeinwesen. Humanitäre Ausnahmen sind selbstverständlich möglich, müssen aber in ihrem Wesen als Ausnahme erkennbar bleiben. Und es muss angesichts des Übermaßes des Elends in der Welt geregelt sein, wer genommen werden kann und wer nicht.
Das ist hart und prosaisch und nicht ohne Zumutungen zu haben. Und was es künftig für die EU-Außengrenzen bedeutet, wagen wir uns kaum auszumalen. Wir Christen können es nur nehmen als Hinweis auf die "noch unerlöste Welt", von der die 5. Barmer These gerade dort spricht, wo sie die Aufgaben des Staates benennt. Aber die Alternative der Zerstörung unserer Gemeinwesen durch Massenmigration wird Zustände heraufführen, die mindestens genauso unerfreulich sind (und in den letzten zwei Jahrzehnten bekommen wir langsam eine Ahnung, was uns in dieser Hinsicht noch bevorstehen könnte). Aber ich bin sicher: tertium non datur.
Auch wenn dies noch Zukunftsmusik zu sein scheint, so lassen sich Aktivitäten wie die Interkulturelle Woche in ihrer Konsequenz kaum anders verstehen als der Versuch, dieser Zerstörung in den Hirnen und Herzen ideologisch den Weg zu bereiten, indem das Bewusstsein für elementare politische Zusammenhänge vernebelt wird.
Grundsätzliche Offenheit für alle Menschen und im Besonderen für die Entrechteten und Armen ist gewiss ein herausragendes Merkmal der Kirche: Sie lädt ein ohne Ansehen der Person oder Herkunft. Aber kann sich ein politisches Gemeinwesen dieses Merkmal umstandslos zu eigen machen? Nehmen wir die klassische Definition des Staates aus Ciceros De re publica 1,39:
„Est igitur res publica res populi, populus autem non omnis hominum coetus quoquo modo congregatus, sed coetus multitudinis iuris consensu et utilitatis communione sociatus“
„Der Staat ist also die Sache des Volkes; das Volk aber ist nicht jede Vereinigung von Menschen, welche auf irgendeine Weise geschlossen wurde, sondern es ist diejenige Vereinigung einer Menschenmenge, welche basierend auf ihrer Übereinstimmung in den Rechtsvorstellungen und auf ihrer Gemeinsamkeit des Vereinigungsnutzens zusammengeschlossen wurde.“ (Übersetzung aus dem Wikipedia-Artikel zum Werk)
Zwei wichtige Eigenschaften eines "Staatsvolkes" werden hier genannt: die Übereinstimmung in den Rechtsvorstellungen und der gemeinsame Nutzen, der dem Staatsvolk aus seiner jeweiligen Verfasstheit erwächst. Und es ist klar, dass es zu den ursprünglichsten politischen Funktionen gehört, zu entscheiden, wer zum Staatsvolk gehört oder inkorporiert werden kann und wer nicht und dass dabei der Aspekt des Nutzens für die Gemeinschaft im Vordergrund steht wie auch die Akzeptanz der Rechtsordnung durch den Hinzukommenden. So selbstverständlich ist das, dass es kaum der Diskussion wert ist - jedes Gemeinwesen, das diese konstitutiven Bedingungen missachtet, willigt damit potentiell in seine Selbstauflösung und -aufgabe ein. Aber solche Forderungen wie die die Interkulturellen Woche laufen darauf hinaus, genau diese selbstverständlichen Zusammenhänge zu unterminieren und das politische Gemeinwesen sonderbar zu verkirchlichen, indem insinuiert wird, was für die Kirche zu gelten habe, müsse vom Staat auch verlangt werden können. Gegen eine solche Verquickung von Staat und Kirche und ihrer Aufgaben hatte sich die Barmer Theologische Erklärung gewandt, die sich gerade die evangelischen Mitakteure der Interkulturellen Woche sonst so groß auf ihre Fahnen schreiben.
Eine "Willkommenskultur", die weder Bedingungen für die formuliert, die willkommen geheißen werden sollen wie z.B. die Akzeptanz unserer Rechtsordnung, noch fragt, wie sich eine offenbar potentiell grenzenlose humanitäre Öffnung zum allgemeinen Nutzen verhält und z.B. die Kosten solcher Massenmigration ehrlich benennt, ist einfach nur destruktiver Wahnsinn. Es gibt kein Menschenrecht auf umfassendes Willkommen ohne Vorleistung in einem beliebigen politischen Gemeinwesen. Humanitäre Ausnahmen sind selbstverständlich möglich, müssen aber in ihrem Wesen als Ausnahme erkennbar bleiben. Und es muss angesichts des Übermaßes des Elends in der Welt geregelt sein, wer genommen werden kann und wer nicht.
Das ist hart und prosaisch und nicht ohne Zumutungen zu haben. Und was es künftig für die EU-Außengrenzen bedeutet, wagen wir uns kaum auszumalen. Wir Christen können es nur nehmen als Hinweis auf die "noch unerlöste Welt", von der die 5. Barmer These gerade dort spricht, wo sie die Aufgaben des Staates benennt. Aber die Alternative der Zerstörung unserer Gemeinwesen durch Massenmigration wird Zustände heraufführen, die mindestens genauso unerfreulich sind (und in den letzten zwei Jahrzehnten bekommen wir langsam eine Ahnung, was uns in dieser Hinsicht noch bevorstehen könnte). Aber ich bin sicher: tertium non datur.
Auch wenn dies noch Zukunftsmusik zu sein scheint, so lassen sich Aktivitäten wie die Interkulturelle Woche in ihrer Konsequenz kaum anders verstehen als der Versuch, dieser Zerstörung in den Hirnen und Herzen ideologisch den Weg zu bereiten, indem das Bewusstsein für elementare politische Zusammenhänge vernebelt wird.
Freitag, 17. August 2012
"Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns ..."
Schon lange hat es mich erstaunt, dass beim Wort der heutigen Tageslosung Jo 1,14 das ἐσκήνωσεν in den meisten Übersetzungen so farblos mit "wohnte" wiedergegeben wird. σκήνη ist griechisch das Zelt oder die Hütte. In Offbg 21,1 heißt es von Gott, dass seine
σκήνη am Ende der Zeit bei uns sein wird und er bei uns "zelten" wird (σκήνωσει). Ἑορτή
τῶν σκηνῶν ist die Septuaginta-Übersetzung für das Laubhüttenfest. In Gen 13,12 wird in der Septuaginta ἐσκήνωσεν für das hebräische Wort für "er zeltete" (ויאהל) wiedergegeben - hier ist die Rede von Lots Zelten bei Sodom; denn als Nomade genießt er hier eben kein Heimatrecht und wird bald von den Sodomitern gefangen.
Wenn Gott sich bei den Menschen niederlässt, dann tut er das nicht in Palästen oder Festungen - dann bleibt etwas Provisorisches, Transitorisches, aber auch Leichtes und Bewegliches dabei, so wie bei den Nomaden und ihren Zelten. Man sagt immer, im Johannesevangelium ersetze der Prolog die Weihnachtsgeschichte und verlagere das irdische Geschehen in vorzeitliche Transzendenz. Aber stimmt das? Schimmert nicht in dem einen Wort ἐσκήνωσεν bereits das irdische Geschick Jesu hindurch, begonnen in einem Stall in Bethlehem, während seine Eltern auf der Reise waren wie einst ihre nomadischen Vorfahren? Jesu Wohnen ist keine Landnahme und kein Bleiben auf Dauer: "Der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege." (Mt 8,20) Verbindet nicht dies eine Wort ἐσκήνωσεν Jesus mit dem Ergehen der Erzväter, ihrem prekären Sein auf dieser Erde, und überhaupt mit der Geschichte und dem Ergehen Israels?
Wie schön!
... "mein" Buchanfang "Call me Ishmael." (Herman Melville, Moby Dick) hat bei Morgenländers kleinem Blogpreis bedeutungsvoller/unvergesslicher Buch-Anfangssätze gewonnen! Das freut mich umso mehr, als "Moby Dick" wirklich einer meiner all-time-favourites ist. Vielen Dank!
Hier noch einmal, was ich seinerzeit dazu geschrieben habe:
"Call me Ishmael." - Was für eine Chuzpe, ein derartig epochales und schon äußerlich monströses Buch wie "Moby Dick" mit einem Drei-Wort-Satz zu beginnen, in dem aber hinter dem biblischen Namen Ismael schon der Roman in nuce durchschimmert: Weg hinaus aus allem, das Halt bietet, in die Wüste, äußerste Verlorenheit, Bewahrung, die zweideutig bleibt.
Als Kind war Moby Dick für mich (natürlich in kindgerecht vereinfachter Version und in John Hustons Meisterwerk, da sich am Sonntagnachmittag einmal schauen durfte) eine "der" Abenteuergeschichten schlechthin. Später lernte ich dann, worum es dort noch und eigentlich geht. Was für ein Glück, eine Geschichte der Kindheit auch als Erwachsener immer wieder neu und tiefer lesen zu dürfen. Ich kenne kein Buch sonst, mit dem es mir so gegangen ist.
Hier noch einmal, was ich seinerzeit dazu geschrieben habe:
"Call me Ishmael." - Was für eine Chuzpe, ein derartig epochales und schon äußerlich monströses Buch wie "Moby Dick" mit einem Drei-Wort-Satz zu beginnen, in dem aber hinter dem biblischen Namen Ismael schon der Roman in nuce durchschimmert: Weg hinaus aus allem, das Halt bietet, in die Wüste, äußerste Verlorenheit, Bewahrung, die zweideutig bleibt.
Als Kind war Moby Dick für mich (natürlich in kindgerecht vereinfachter Version und in John Hustons Meisterwerk, da sich am Sonntagnachmittag einmal schauen durfte) eine "der" Abenteuergeschichten schlechthin. Später lernte ich dann, worum es dort noch und eigentlich geht. Was für ein Glück, eine Geschichte der Kindheit auch als Erwachsener immer wieder neu und tiefer lesen zu dürfen. Ich kenne kein Buch sonst, mit dem es mir so gegangen ist.
Mittwoch, 15. August 2012
"Frau Drygalla hat ein Recht auf Umkehr ..."
Lange hatte ich überlegt, ob ich Nikolaus Schneider einen
Brief schreiben soll, da er auch mein oberster Dienstherr ist. Denn den Aufschrei der Empörung allerorten im Netz verstehe ich völlig. Mit Frau Drygalla ereignet sich ähnliches wie seinerzeit im Fall Sarrazin: Die veröffentlichte Meinung und die vox populi klaffen meilenweit auseinander. In diesem Fall haben es die Haupt-Kesseltreibenden WELT und ZEIT dann offenbar doch gemerkt und schließlich unglaublich heuchlerische Artikel über eben den Ungeist dieses medialen Kesseltreibens veröffentlicht, das sie selbst losgetreten haben.
Schneider scheint da gemeinsam mit einem Teil des evangelischen Establishments eher zu denen gehören, die den Schuss schon lange nicht mehr hören: Er hält noch nicht einmal eine Richtigstellung ob der ungeheuerlichen Vorverurteilung für angebracht, die er ausgesprochen hat - und das bekanntlich ohne den geringsten Hinweis auf irgendein Tun oder Sagen von Frau Drygalla selbst, das ein solches Urteil rechtfertigen würde. Natürlich kannten wir so etwas bisher nur unter den Nazis ("Sippenhaft", wie Schneider ja selbst sagt) und den Stalinisten. Selbstverständlich ist Schneider keins von beiden. Aber wie intensiv muss das Gefühl sein, unbedingt auf der Seite des Guten zu stehen und wie groß der Abscheu gegenüber dem vermeintlich Bösen und Falschen, dass für solche Details wie ein konkreter Schulderweis kein Raum mehr bleibt.
Und es ist kein Wunder: Unter den derzeit amtierenden evangelischen Pfarrerinnen und Pfarrern ist der Anteil ehemaliger (?) linker Aktivisten aller Spielarten signifikant höher als bei anderen akademischen Berufsgruppen, wahrscheinlich sogar höher als bei Lehrern (ich weiß das aus eigener Anschauung universitärer Milieus in den Achtzigern und frühen Neunzigern, als viele der jetzigen Amtsinhaber studierten - und, wie ich zu meiner eigenen Schande gestehen muss, aus reichlich eigenem Mittun). Und ich erinnere mich noch gut des Klimas, das damals weithin herrschte. Das Gefühl, auf der historisch und theologisch "richtigen" Seite zu stehen (Barth, Bonhoeffer ...), der Wunsch, das Falsche mit Stumpf und Stiel auch aus dem Denken austreiben zu wollen - das war nicht nur bei den eigentlichen politischen Aktivisten ausgeprägt, sondern herrschte bis in theologische Seminare.
Ich habe den Brief dann doch nicht geschrieben. Vordergründig war es Zeitmangel, aber hintergründig auch ein Stück Resignation. Wir müssen woanders ansetzen als uns an den Schneiders abzuarbeiten, mehr an der Basis, um dort mit Fragen und Zweifelsäen kleinere und größere Löcher zu bohren in die Mauern der offiziellen Gewissheiten und den Vielen eine Stimme zu geben, denen der offizielle Jargon immer fraglicher wird.
Brief schreiben soll, da er auch mein oberster Dienstherr ist. Denn den Aufschrei der Empörung allerorten im Netz verstehe ich völlig. Mit Frau Drygalla ereignet sich ähnliches wie seinerzeit im Fall Sarrazin: Die veröffentlichte Meinung und die vox populi klaffen meilenweit auseinander. In diesem Fall haben es die Haupt-Kesseltreibenden WELT und ZEIT dann offenbar doch gemerkt und schließlich unglaublich heuchlerische Artikel über eben den Ungeist dieses medialen Kesseltreibens veröffentlicht, das sie selbst losgetreten haben.
Schneider scheint da gemeinsam mit einem Teil des evangelischen Establishments eher zu denen gehören, die den Schuss schon lange nicht mehr hören: Er hält noch nicht einmal eine Richtigstellung ob der ungeheuerlichen Vorverurteilung für angebracht, die er ausgesprochen hat - und das bekanntlich ohne den geringsten Hinweis auf irgendein Tun oder Sagen von Frau Drygalla selbst, das ein solches Urteil rechtfertigen würde. Natürlich kannten wir so etwas bisher nur unter den Nazis ("Sippenhaft", wie Schneider ja selbst sagt) und den Stalinisten. Selbstverständlich ist Schneider keins von beiden. Aber wie intensiv muss das Gefühl sein, unbedingt auf der Seite des Guten zu stehen und wie groß der Abscheu gegenüber dem vermeintlich Bösen und Falschen, dass für solche Details wie ein konkreter Schulderweis kein Raum mehr bleibt.
Und es ist kein Wunder: Unter den derzeit amtierenden evangelischen Pfarrerinnen und Pfarrern ist der Anteil ehemaliger (?) linker Aktivisten aller Spielarten signifikant höher als bei anderen akademischen Berufsgruppen, wahrscheinlich sogar höher als bei Lehrern (ich weiß das aus eigener Anschauung universitärer Milieus in den Achtzigern und frühen Neunzigern, als viele der jetzigen Amtsinhaber studierten - und, wie ich zu meiner eigenen Schande gestehen muss, aus reichlich eigenem Mittun). Und ich erinnere mich noch gut des Klimas, das damals weithin herrschte. Das Gefühl, auf der historisch und theologisch "richtigen" Seite zu stehen (Barth, Bonhoeffer ...), der Wunsch, das Falsche mit Stumpf und Stiel auch aus dem Denken austreiben zu wollen - das war nicht nur bei den eigentlichen politischen Aktivisten ausgeprägt, sondern herrschte bis in theologische Seminare.
Ich habe den Brief dann doch nicht geschrieben. Vordergründig war es Zeitmangel, aber hintergründig auch ein Stück Resignation. Wir müssen woanders ansetzen als uns an den Schneiders abzuarbeiten, mehr an der Basis, um dort mit Fragen und Zweifelsäen kleinere und größere Löcher zu bohren in die Mauern der offiziellen Gewissheiten und den Vielen eine Stimme zu geben, denen der offizielle Jargon immer fraglicher wird.
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