Diesen Ausführungen des katholischen Bischofs Gerhard Ludwig Müller ist nur zuzustimmen, soweit sie den Unterschied zwischen evangelisch und "protestantisch" betreffen. Traurig stimmt, dass man dergleichen so gut wie nie von evangelischen Verantwortungsträgern zu hören bekommt. Es ist ja keine theologisch neue Einsicht, dass die plumpe Identifikation dessen, was die Reformatoren unter der Freiheit eines Christenmenschen verstanden haben, mit dem neuzeitlichen Freiheitsverständnis schlicht Irrtum oder Etikettenschwindel ist. Dementsprechend besteht für Evangelische keinerlei Anlass, vordergründig Zustimmung zu erbuhlen durch Einstimmen in allzu flache Katholizismus-Kritik - und das scheint mir der Markenkern (um es neudeutsch zu sagen) derjenigen zu sein, die sich so viel auf ihr "protestantisches" Profil zugute halten. Wer nur protestiert, braucht immer etwas, wovon er sich absetzt und wogegen er aufbegehrt.
In einem Punkt möchte ich Müllers Ausführungen aber präzisieren. Müller hat recht, wenn er darauf verweist, dass auch wir Evangelische Gebundene sind und uns nicht zu Herren der Schrift und des Glaubens im Namen einer abstrakten Freiheit aufschwingen dürfen. Aber: Die reformatorischen "sola" haben ihren Grund und ihre Wurzel im "solus Christus" - es geht darum, wie die Kirche und mein Glaube verfasst sein müssen, damit Christus wirklich unser "Herr und Heiland" sein und als solcher bei uns und für uns wirksam werden kann. Auch das sogenannte Schriftprinzip bedeutet ja nicht, einer enthistorisierenden Buchstäblichkeit der biblischen Autorität das Wort zu reden (der "papiererne Papst" wäre in der Tat schlimmer als einer aus Fleisch und Blut ...), sondern der Schrift ihren fundamentalen Charakter auch im Gegenüber zur Tradition und ihren Sachwaltern zu wahren, die ihrerseits sich auf die Schrift nur als die ihr vorgegebene und übergeordnete Autorität beziehen können, wenn sie nicht der Hybris verfallen wollen. Und die Schrift selbst ist wiederum Christus unter- und nicht gleichgeordnet - weswegen sie nur und insofern Autorität beanspruchen kann, als sie "Christum treibet", wie Luther sagt. Doch auch dies ist nicht gewissermaßen in Prozentanteilen ein für allemal konstatierbar, sondern erschließt sich nur dem demütig-glaubenden Hören und Fragen, das bereit ist, Christi Wort als autoritatives wie als befreiendes Wort zu hören (und auch als Korrigens eigener Vorverständnisse und ideologischen Bindungen wirksam werden zu lassen).
Deswegen ist allein "evangelisch" die Bezeichnung, die den Kern trifft (wenn man denn überhaupt auf eine solche erpicht ist). Wir protestieren nicht in erster Linie gegen irgendetwas oder irgendwen, sondern wir bleiben Jesu Christi gutem Wort, kurz: seinem Evangelium in und hinter den menschlichen Wörtern auf der Spur. So wie es die Barmer theologische Erklärung klassisch-kurz sagt:
"Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das
eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu
vertrauen und zu gehorchen haben."
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