Die diesjährige Interkulturelle Woche im September soll unter dem Motto stehen: "Herzlich willkommen - wer immer Du bist", und sie selbst will sich als ein
"lebendiges Zeichen auf einem guten Weg zu einer echten Willkommenskultur" verstanden wissen. Liest man die entsprechenden Ankündigungen der Kirchen, stellt man eine eigenartige Logik fest: Vom Verlangen nach Offenheit und Akzeptanz für einzelne Menschen unterschiedlicher Herkunft im alltäglichen Miteinander in Deutschland wird flugs fortgeschritten zu politischen Forderungen nach umfassenden humanitären Bleiberechtsregelungen und nach einem offenbar durchlässigeren Grenzregime als jetzt. Während erstere Anforderung für Christen selbstverständlich sein dürfte, kommen einem bei der zweiten doch leichte Zweifel - und noch mehr, wenn beide umstandslos verquickt und vermischt werden, als seien sie nur die Kehrseiten derselben Sache. Meine Frage dazu:
Grundsätzliche Offenheit für alle Menschen und im Besonderen für die Entrechteten und Armen ist gewiss ein herausragendes Merkmal der Kirche: Sie lädt ein ohne Ansehen der Person oder Herkunft. Aber kann sich ein politisches Gemeinwesen dieses Merkmal umstandslos zu eigen machen? Nehmen wir die klassische Definition des Staates aus Ciceros De re publica 1,39:
„
Est igitur res publica res populi, populus autem non omnis
hominum coetus quoquo modo congregatus, sed coetus multitudinis iuris
consensu et utilitatis communione sociatus“
„Der Staat ist also die Sache des Volkes; das Volk aber ist nicht
jede Vereinigung von Menschen, welche auf irgendeine Weise geschlossen
wurde, sondern es ist diejenige Vereinigung einer Menschenmenge, welche
basierend auf ihrer Übereinstimmung in den Rechtsvorstellungen und auf
ihrer Gemeinsamkeit des Vereinigungsnutzens zusammengeschlossen wurde.“ (Übersetzung aus dem Wikipedia-Artikel zum Werk)
Zwei wichtige Eigenschaften eines "Staatsvolkes" werden hier genannt: die Übereinstimmung in den Rechtsvorstellungen und der gemeinsame Nutzen, der dem Staatsvolk aus seiner jeweiligen Verfasstheit erwächst. Und es ist klar, dass es zu den ursprünglichsten politischen Funktionen gehört, zu entscheiden, wer zum Staatsvolk gehört oder inkorporiert werden kann und wer nicht und dass dabei der Aspekt des Nutzens für die Gemeinschaft im Vordergrund steht wie auch die Akzeptanz der Rechtsordnung durch den Hinzukommenden. So selbstverständlich ist das, dass es kaum der Diskussion wert ist - jedes Gemeinwesen, das diese konstitutiven Bedingungen missachtet, willigt damit potentiell in seine Selbstauflösung und -aufgabe ein. Aber solche Forderungen wie die die Interkulturellen Woche laufen darauf hinaus, genau diese selbstverständlichen Zusammenhänge zu unterminieren und das politische Gemeinwesen sonderbar zu verkirchlichen, indem insinuiert wird, was für die Kirche zu gelten habe, müsse vom Staat auch verlangt werden können. Gegen eine solche Verquickung von Staat und Kirche und ihrer Aufgaben hatte sich die Barmer Theologische Erklärung gewandt, die sich gerade die evangelischen Mitakteure der Interkulturellen Woche sonst so groß auf ihre Fahnen schreiben.
Eine "Willkommenskultur", die weder Bedingungen für die formuliert, die willkommen geheißen werden sollen wie z.B. die Akzeptanz unserer Rechtsordnung, noch fragt, wie sich eine offenbar potentiell grenzenlose humanitäre Öffnung zum allgemeinen Nutzen verhält und z.B. die Kosten solcher Massenmigration ehrlich benennt, ist einfach nur destruktiver Wahnsinn.
Es gibt kein Menschenrecht auf umfassendes Willkommen ohne Vorleistung in einem beliebigen politischen Gemeinwesen. Humanitäre Ausnahmen sind selbstverständlich möglich, müssen aber in ihrem Wesen als Ausnahme erkennbar bleiben. Und es muss angesichts des Übermaßes des Elends in der Welt geregelt sein, wer genommen werden kann und wer nicht.
Das ist hart und prosaisch und nicht ohne Zumutungen zu haben. Und was es künftig für die EU-Außengrenzen bedeutet, wagen wir uns kaum auszumalen. Wir Christen können es nur nehmen als Hinweis auf die "noch unerlöste Welt", von der die 5. Barmer These gerade dort spricht, wo sie die Aufgaben des Staates benennt. Aber die Alternative der Zerstörung unserer Gemeinwesen durch Massenmigration wird Zustände heraufführen, die mindestens genauso unerfreulich sind (und in den letzten zwei Jahrzehnten bekommen wir langsam eine Ahnung, was uns in dieser Hinsicht noch bevorstehen könnte). Aber ich bin sicher: tertium non datur.
Auch wenn dies noch Zukunftsmusik zu sein scheint, so lassen sich Aktivitäten wie die Interkulturelle Woche in ihrer Konsequenz kaum anders verstehen als der Versuch, dieser Zerstörung in den Hirnen und Herzen ideologisch den Weg zu bereiten, indem das Bewusstsein für elementare politische Zusammenhänge vernebelt wird.